Viele Zuschauer suchten den Gang ins Kino aka das Empire of Light. |
Jahressieger: Fast sechs Millionen Deutsche strömten für Barbie in die Kinosäle. |
Beste Darstellerleistungen: Hong Chau, Abby Ryder Fortson, Benoît Magimel. |
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All’s well that ends well.
Obschon Superhelden außergewöhnliche Personen darstellen, gebären sich Superhelden-Filme auch dank des ermüdend-repetitiven MCU heutzutage mehr als gewöhnlich. Da braucht es schon ein wenig Kreativität, um diesem Genre-Golem wieder Leben einzuhauchen. Bei Quentin Dupieux ist man hier sicher an der richtigen Adresse, ist der Franzose doch alles andere als unoriginell. In Fumer fait tousser – in Englisch: Smoking Causes Coughing – inszeniert er seine ganz eigene Version der „Avengers“. Das Quintett der Tobacco Force schlägt sich buchstäblich jede Woche mit extraterrestrischen Widersachern, von anthropomorphen Reptilien bis hin zu Lézardin (Benoît Poelvoorde), der plant, bis zum Jahresende die Erde zu zerstören.
Eine ernstzunehmende Bedrohung, weshalb es umso beunruhigender ist, dass der soziale Zusammenhalt innerhalb der Tobacco Force nicht gerade zum besten bestellt ist. Nur mit Ach und Krach gelang es Teammitglied Mercure (Jean-Paul Zadi) im letzten Konflikt noch, seine Spezialkraft freizuschalten. Weshalb Tobacco-Force-Leader Chief Didier (Alain Chabat), eine sprechende Ratte, kurzerhand seine Truppe zu einer Arbeitsklausur-Woche verdonnert, um an ihrer Teamfähigkeit zu arbeiten. Dort beginnt sich das Team abends, pseudo-gruselige Lagerfeuer-Geschichten zu erzählen, während Mitglied Nicotine (Anaïs Demoustier) mit ihren aufwellenden romantischen Gefühlen für Chief Didier klarzukommen versucht.
Fumer fait tousser ist eine charmante Persiflage auf das Super-Sentai- und Tokusatsu-Genre mit spürbar französischem Anstrich. Eingewoben in das große Ganze werden hierbei die Lagerfeuer-Erzählungen als amüsante Vignette-Elemente, zum einen zwei Pärchen, die ein Wochenende in einem Ferienhaus verbringen wollen, ehe die Entdeckung eines meditativen altmodischen Huts die Ereignisse auf den Kopf stellt. In einer anderen Erzählung steht wiederum ein Arbeitsunfall in einem Sägewerk im Fokus und seine Folgen innerhalb eines Familiengeflechts. Was die vermeintlichen Gruselgeschichten mit der Haupthandlung eint, ist die fortschreitende Abkopplung innerhalb der Gesellschaft und zwischen den Menschen.
Der Film thematisiert dies an vielen Stellen, beispielsweise wenn Team-Leader Benzène (Gilles Lellouche) dem Kollegen Méthanol (Vincent Lacoste) am Rande eines Kampfes von seinem Malheur berichtet, in Anwesenheit eines Veganers über Salami philosophiert zu haben. Auch die Kommunikation des Teams mit seinem Roboter Norbert (Ferdinand Canaud) wirkt zunehmend „lost in translation“, während Nicotine falsche Signale von Chief Didier zu empfangen scheint und nur augenscheinlich von ihrer Kameradin Ammoniaque (Oulaya Amamra) getröstet wird. Auch die Paare in der Ferienhaus-Vignette oder Sägewerk-Leiterin Tony (Blanche Gardin) sowie ihre Schwester und Neffe Michaël (Anthony Sonigo) haben Gesprächsbedarf.
Da passt es ins Bild, dass das Team in seinem Untergrund-Bunker im dortigen Kühlschrank einen ganzen Supermarkt inklusive Bedienung vorfindet, an der später Méthanol vorbeireden wird. “What am I doing with these people?”, fragt sich Agathe (Doria Tiller) nach dem Aufsetzen des Denkhutes in Hinblick auf ihre Beziehung und die gemeinsamen Freunde. Und im Grunde könnte sich das auch jedes Mitglied der Tobacco Force beim Anblick von einander fragen. Fumer fait tousser bewegt sich dabei stets in gewisser Weise auf einer Metaebene, wenn Agathes Mann ihr sagt “You can’t wear that dumb thing all day”, während sich gleichzeitig die Tobacco Force nie ihrer Super-Sentai-Anzüge entledigt – nicht einmal zum Schlafen.
“I still think it’s crap”, kommentiert an einer Stelle ein junges Mädchen (Thémis Terrier-Thiebaux) einen Videoclip von Benzène in Aktion – und könnte damit in gewisser Weise auch Dupieux’ Film selbst meinen. Die Tobacco Force ist dabei ein buntes Gemisch aus scheinbar ausgebrannten und wiederum jungen und dynamischen Mitgliedern, die zwar wöchentlich die Welt retten, dann aber dennoch verschreckt sind, wenn sie nachts ein Geräusch im Gebüsch hören. “Let me tell you something life-changing”, klärt Benzène zu Beginn einen jungen Fan auf. Und lebensverändernd sind auch die Erlebnisse, denen sich alle Figuren gegenübersehen, insofern sie es nicht schaffen, wieder eine gemeinsame Linie der Kommunikation zu finden.
Entsprechend dem Tokusatsu-Genre sind die Effekte entsprechend gestaltet. Das Grundgerüst wirkt wie ein Mash-up aus Power Rangers, denen Marvin the Paranoid Android aus A Hitchhiker’s Guide to the Galaxy an die Seite gestellt wird. Chief Didier ist ein Highlight für sich, als unentwegt grünen Schleim sabbernde und offenbar notgeile Puppe, während das gesamte Ensemble durch die Bank in seinen Rollen zu überzeugen vermag, obgleich manche von ihnen wie Anaïs Demoustier oder Jean-Paul Zadi etwas bessere Szenen erhalten als ein Vincent Lacoste. Auch die Vignetten-Darsteller gefallen, allen voran Adèle Exarchopoulos untermauert ihr komödiantisches Talent, aber auch Raphaël Quenard holt das Maximum aus seinem Part.
Aller Argumentation zum Trotz ist Fumer fait tousser natürlich kein allzu tief schürfender oder nachdenklich stimmender Film, der dem Publikum eine bestimmte Botschaft subtil mitgeben möchte. Primär ist es eine überzeichnete Blödelei, deren Vergnügungsfaktor davon abhängt, wie sehr man sich mit dem Humor von Quentin Dupieux arrangiert. Hilfreich ist da, dass sich die Tobacco Force durchweg selbst ernst nimmt, auch wenn es die übrigen Figuren nur bedingt tun. Dass der Film nur knapp 80 Minuten lang ist, trägt seinen Teil zur Kurzweil bei, verleiht dem Ganzen den Charme einer längeren Sitcom-Folge. Unabhängig davon, wie viel Spaß man mit Fumer fait tousser hat, dürfte eins klar sein: Außergewöhnlich ist der Film allemal.
8.5/10
Seine Familie, so besagt es ein Sprichwort, kann man sich nicht aussuchen. Hiervon können die Figuren in Kore-eda Hirokazus Filmen wie Aruitemo aruitemo [Still Walking], Umi yori mo mada fukaku [After the Storm] oder La vérité ein Lied singen, hadern Eltern doch mit den Personen, zu denen ihre Kinder geworden sind und umgekehrt die Kinder mit jenen Charakteren, die ihre Eltern schon immer waren. Zuletzt hatte Kore-eda aber mit Manbiki kazoku [Shoplifters] eine neue Perspektive auf dieses Familienbild geworfen, war jene Familie doch weniger auf Blut basiert, als vielmehr ein Zusammenschluss von Gleichgesinnten. Eine Behelfs-Familie ist es auch, der wir in Beurokeo [Broker] begegnen, den Kore-eda in Südkorea inszeniert hat.
In diesem verkaufen die Kleinkriminellen Sang-hyun (Song Kang-ho) und Dong-soo (Gang Dong-won) Neugeborene, die sie aus einer Babyklappe stehlen, an Pärchen, die selbst keine Kinder haben können. Darunter auch Woo-song, den dessen Mutter, die Prostituierte Moon So-young (Ji-eun Lee), in einer regnerischen Nacht vor einer Babyklappe aufgibt – nur um tags darauf doch nach ihrem Sohn zu suchen. Kurzerhand holen Sang-hyun und Dong-soo also die junge Mutter mit ins Boot und machen sie zur Partnerin in ihrem Geschäft. Gleichzeitig sind die beiden Polizistinnen Su-jin (Bae Doona) und Lee (Lee Joo-young) dem Trio auf der Spur – und dabei nicht die einzigen Beamten, die sich wegen So-young in Ermittlungen wiederfinden.
“I’ll come back for you” hatte So-young dabei in einer Notiz Woo-song versprochen. Kein Einzelfall, erzählt ihr später Dong-soo. Aber nur eine von 40 Müttern würde tatsächlich wieder zurückkehren. Dong-soo weiß das nur zu gut, stammt selbst aus einem Waisenheim, in dem die Figuren später einen Zwischenstopp machen. Auch seine Mutter hatte ihm eine solche Notiz hinterlassen, sporadisch schaut er selbst nach Jahrzehnten noch in seinem Heim nach, ob sie inzwischen tatsächlich für ihn zurückgekehrt ist. Das Heim avancierte zum Zuhause, die anderen Kinder quasi zu einer ersten Ersatzfamilie. Dong-soo spricht dabei nicht von „zurückgelassenen“ oder „aufgegebenen“ Kindern, sondern sehr viel härter von „weggeworfenen“.
Auch Sang-hyun kennt nach eigenen Angaben “nothing but rejection” – er ist selbst Vater einer Tochter, die ihn aber scheinbar nicht in ihrem Leben haben will. Der junge Hae-jin (Seung-soo Im) aus Dong-soos Heim hätte gerne eine Familie, schließt sich kurzerhand dem Trio und Wong-soo an. Als Amoretten beschreibt Sang-hyun sich und Dong-soo gegenüber So-young, ihr Tun als Fürsorge, Dong-soo hingegen nennt es Schutz. Während die junge Mutter derartige Beschreibungen sarkastisch kommentiert, sind sie vom Kern nicht so weit weg, erwecken Sang-hyun und Dong-soo doch die Liebe zwischen kinderlosen Eltern und elternlosen Kindern, anstatt dass sie in Waisenhäusern zu jungen verbitterten Erwachsenen heranreifen.
Über So-youngs Hintergründe lernen wir wenig, immerhin, dass sie neben anderen Mädchen und jungen Frauen bei einer Dame unterkommt, die von allen „Mama“ genannt wird. Auch hier begegnet uns also wieder diese Form der Behelfs-Familie wieder, die So-young im Laufe des Films gegen eine andere solche eintauscht. “Let’s be happy with us”, begrüßt Sang-hyun eingangs Woo-song, dem er sich so erzieherisch widmet, wie er es bei seiner leiblichen Tochter nicht darf. Letztlich weitet sich diese Einladung über das Neugeborene hinaus aus, schließt auch dessen Mutter und Hae-jin ein. Es ist eine Sammlung von Abgelehnten, die erst durch- und miteinander die Wertschätzung erfahren, die ihnen zuvor lange verwehrt geblieben war.
Fehlende Wertschätzung ist zugleich etwas, das Ermittlerin Su-jin ihrem fürsorglichen Ehemann entgegenbringt, der sie und Lee bekocht oder mit frischen Klamotten versieht. Fehlende Wertschätzung erfuhr auch jene Ehefrau von So-youngs Freier, der zum Vater von Woo-song avancierte. Es handelt sich um C-Handlungsstränge, die Kore-eda noch in die Handlung verstrickt, denen sich das Drehbuch aber nicht wirklich widmet – ähnlich jenen Schulden, die Sang-hyun gegenüber einer Bande begleichen muss. Weniger wäre in Beurokeo mehr gewesen, zumal die Dramatisierung in die eigentliche Handlung im Grunde genommen gar nicht reinspielt, selbst wenn im Finale doch noch Zusammenhänge untereinander hergestellt werden.
Ähnlich unzureichend homogen gerät mit Abstrichen auch die Verortung nach Südkorea. Wie zuletzt La vérité sehr französisch ausfiel, gebiert sich Beurokeo durchweg koreanisch – was einerseits für Kore-eda Hirokazus Anpassungsfähigkeit an die fremden Kulturen spricht, andererseits fühlen sich seine beiden ersten ausländischen Filme aber zweifelsohne weniger „kore-edaesk“ an gegenüber seinem vorangegangenen japanischen Œuvre. Gewisse Elemente scheinen somit “lost in translation” und nicht übertragbar – da fügt sich gut ein, dass Bae Doona berichtet hat, dass sie das ins Koreanische übersetzte Drehbuch doch vorzog, im japanischen Original zu lesen, um alle Nuancen ihrer Figur und Dialoge korrekt erfassen zu können.
Beurokeo untersucht oberflächlicher als Manbiki kazoku oder Soshite chichi ni naru [Like Father, Like Son], wie ein Familienkonstrukt aussieht und sich losgelöst von Blutsbande zusammensetzen kann. Die Figuren sind weniger eine Einheit, als dass sie aneinander Halt finden, aber im Kern dann doch sehr auf sich fokussiert sind, während sie sich der Frage stellen müssen, was richtig und was falsch ist. Innerhalb seiner Filmografie markiert Beurokeo damit alles andere als Kore-edas Oberklasse, doch selbst ein eher gewöhnlicher Kore-eda ist im Vergleich mit dem, was sonst im Kino landet (oder mit Filmpreisen bedacht wird) noch höherrangig anzusiedeln. Sodass man dem Regisseur einen Zettel beilegen würde: I’ll come back for you.
7/10
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